Optics of Suspicion – Observierung und Kontrolle


„Optics of Suspicion“ –

Observierung und Kontrolle

Victor Sloan: „Moving Windows“


Victor Sloan hat in der 20teiligen Serie „Moving Windows“ im Jahr 1985 über einen Zeitraum von zwei Wochen hinweg auf Fahrten durch verschiedene Grafschaften aus dem Auto heraus mit der Kamera fotografiert. (151) Entstanden ist weniger ein „visual diary“ (152), das konkret Aufschluß über die Stationen seiner Reise gibt, als vielmehr eine Reflection über eine Strategie der staatlichen Überwachung, die von Armee- und Polizeifotografen zur verdeckten Observierung verdächtiger Personen eingesetzt wird. Vom Aufnahmewinkel und der Unschärfe har zu schließen, scheinen fast alle Fotos heimlich mit der im Auto verborgenen Kamera gemacht worden zu sein, die Sloan ausgelöst haben muß, ohne durch den Sucher blicken und das Motiv fokussieren zu Können. (153) Den ‘Rahmen’ dieser Aufnahmen bildet die Einfassung eines Seitenfensters oder auch die der Front- oder Heckscheibe (Abb. 19). So schlüpft der Künstler selbst in die Rolle desjenigen, der heimlich seine Umgebung beobachtet und Informationen sammelt. Durch die Art und Weise, wie an die sich unspektakulären und von Alltäglichkeit gekennzeichneten Bildmotive inszeniert warden, evoziert Sloan eine Lesart, in der alles und jeder potentiell verdächtig ist.

Die unscharfen Bildergebnisse, die Sloan mit seiner Kamera erzielt, laufen aber der polizeilichen Überwachungsfotografie zuwider, die als Informationmaterial aurgewertet wird. Denn seine Bilder liefern keinerlei relevante Daten; sie bleiben, was Ort und Personen angeht, volkommen unspezifisch. Eine Straße, verschiedene Gebäude, ein Hund hinter einem Zaun oder eine Bushaltestelle sind Motive, die in jeder nordirischen Stadt aufgenommen worden sein könnten; Ladenschilder oder Gesichter von Passantan sind nicht genau zu erkennen, durch eine regenasse Frontschiebe manchmal nur als Schemen wahrnehmbar. Durch ihre nachträgliche Kolorierung werden die Bilder, abgesehen von ihrer Unshärfe, zusätzlich verfremdet. Buchstaben werden durch Farbschlieren unleserlich, eine Straßenbelag durch Kolorierung in eine blau gehöhte Fläche verwandelt.

In einigen Bildern, in denen Sloan den Rückoder Seitenspiegel in den Bildausschnitt integriert hat, wird das Beobachten selbst zum Motiv. Der fotografierte Blick in den Spiegel wirft diesen auf sich selbst zuruck, denn die Straße im Seitenspiegel in „Road, Portadown“ ist leer, das Objekt der Observierung gar nicht vorhanden (Abb.20). Doch die Fotos der serie sind noch auf einer anderen Ebene zu lesen. Denn das Fotografieren in Nordirland ist kein einfaches Unterfangen. In den katholischen oder protestantischen Wohnvierteln kommt schnell der Verdacht des staatlichen Observierens auf, in der Nähe von Armeeeinrichtungen oder Patrouillen der der paramilitärischen Spionage. Deshalb resultieren Sloans Bildkompositionen vielleicht auch der Anpassung an die Gegebenheiten damit der Moment des Verdachts, der aus den Bildern spricht, nicht auch auf ihn zurückfällt.


Anmerkungen

151 Die Fotos haben die Maße 63,2 x 48,9 cm, sind aber quadratisch passepartouriert.
152 Aidan Dunne: A Broken Surface: Victor Sloan’s Photographic Work. In Victor Sloan: Selected Works, 1980-2000. Ausst. Kat. Ormeau Baths Gallery, Belfast; Orchard Gallery, Derry. Belfast 2000, S. 23-147, hier S. 60.
153 Batchen führt als Kennzeichen eines heimlich aufgenommenen Fotos, einer sogenannten „detective photography“, an: „casual framing, haphazard composition, uncontrolled lighting, slice-of-life-facility“, Batchen, 2002, S.458.

Extract from Die Kunst, den Krieg zu fotografieren. Krieg in der künstlerischen Fotografie der Gegenwart, by Agnes Matthias, published by Jonas Verlag, Marburg, Germany, 2005.